Einführung anläßlich der Vernissage

"Fragmente"

18 Bilder Fragmente, 9 Nonnenfotos, Film „Handlung+Andacht"

von

Hubertus v. Puttkamer

 

Duden Galerie, Berlin am 29.1.2004

 

 

 

         Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Freunde!

1. Intro - Zitat

Lassen Sie mich meine Anmerkungen zu dieser Ausstellung „FRAGMENTE" mit einem kurzen Zitat beginnen, denn ein kluges Zitat zur Einleitung ist immer gut. Es ist eine Textstelle aus CG. Jungs „Die Dynamik des Unbewußten' und lautet:

       „Die einzige Fremdsprache, die jeder lernen müßte, ist die Symbolsprache".

Und wie schon ein flüchtiger Blick auf die hier ausgestellten Fotografien - oder man sollte besser sagen "bearbeiteten Fotografien" - zeigt, handelt es sich bei den mit diesen Bildern mitgeteilten Inhalten, um Symbol-Botschaften, die sich nur dem erschließen, der sich die Mühe macht, den in ihnen steckenden, intuitiven Gehalt zu entschlüsseln.

 

2. Vergleich Anima Feminae vs. Fragmente

Diese neue Bilderserie "Fragmente" entstammt - genau wie die vorangegangene Ausstellung „Anima Feminae", die sicherlich einige von Ihnen auch gesehen haben - aus einem größer angelegten Zyklus der Künstlerin , den sie „Im Labyrinth" genannt hat.

Während damals bei „Anima Femina" weibliche Archetypen, mythologische Inkarnationen wie die „Priesterin", die „Schamanin", Figuren wie Circe, Aphrodite usw. im Mittelpunkt standen, zielt Frau Wilken - wie Vorgespräch mit ihr ergab - bei den heute vorgestellten Fragmente-Arbeiten eher auf jene Aspekte, die mit der Rolle der Frau in der heutigen Gesellschaft zusammenhängen , d.h. aber auch zugleich , daß das bestimmende Element ihrer Arbeiten also „Thema Frau" erhalten bleibt, was auch durch die hier ausgestellten Arbeiten - mit ihren zahlreichen, bildlichen Bezügen auf den weiblichen Körper - bestätigt wird.

 

3. "Frauenrolle" in der Männerwelt

Mit dem hier im Mittelpunkt stehenden "Thema Frau" wird nicht vordergründig gezielt auf die - soziale Gleichberechtigung der Frau .... nein....,

es geht vielmehr um die vielen, viel subtileren Formen von Diskriminierung, die mit der allgemeinen gesellschaftlichen Rollenerwartung an die Frau zusammenhängen : Gemeint sind die Selbstverständlichkeit des permanenten Sich-Anpassens, des Lieb- und Nett- und Weiblich-Sein-müssens,

des sich immer automatisch Selbst - Zurücknehmens.

 

4. Männerwelt / die Folgen – Naturabspaltung

Die W

elt in der wir leben - man mag es drehen und wenden, wie man will - ist trotz nicht zu leugnender, punktueller feministischer Emanzipations-Fortschritte nach wie vor eine von Männern gemachte und dominierte Welt. Doch der totale Sieg der Naturwissenschaften und der in ihrem Schlepptau triumphierende und alle Lebensbereiche erfassende rasante, technologische Fortschritt erweist sich nämlich bei näherem Hinsehen

als teuer - vielleicht zu teuer - erkauft. Stichwort wäre hier z.B. der Begriff „Reizüberflutung" und die damit einhergehende psycho-neurotische Problematik, d.h. es ist bei dem Einzelnen eine wachsende Spaltung zu beobachten zwischen der äußeren, aufgezwungenen, sensorischen Wahrnehmung von WELT! - und - den gemachten subjektiven Erfahrungen - bzw. deren innerer Verarbeitung.

Einer WELT, die übrigens zunehmend mit dem instrumentalisierenden Begriff "Um-welt" indiziert wird, wobei schon diese "Neu" - Benennung als bestätigendes Argument für den stattgefundenen Vollzug einer Spaltung dienen mag: hier auf der einen Seite die "alte, alles umfassende und bedingende Mutter Natur" und auf der anderen Seite die kapitalisierte, optimierte, industrialisierte Städte-, Verkehrs- und Fabriklandschaft.

Die Natur als Ganzes wird dadurch zwangsläufig in die Rolle eines - doch bitteschön - nicht ganz zu zerstörenden - ja ich übertreibe -

" exotischen(!) „Natur-Parks“ herabgewürdigt.

 

5. Männerwelt die Folgen - Psychischer Individualdefizit

In unserer Hochgeschwindigskeitwelt - gerne erinnere ich in diesem Zusammenhang an den von Paul Virillio geprägten Begriff des „rasenden Stillstandes" - in dieser Welt also , die zu Vieles in zu kurzer Spanne auf uns und unsere Sinne abfeuert, entsteht dann leicht "das Gefühl nicht mehr mitzukommen" ? Fragt man sich da nicht manchmal selbst: Bin ich überhaupt noch "on-line" bzw. „up-to-date "?

 

6. Weibliche innere Gegenwelt

In dieser - hier nur angedeutbaren - männlich dominierten Welt, wird nun mit diesen Fragment-Bildern auf eine ganz andere innere weibliche Welt hingewiesen : Hier bilden Empfindungen, Archetypen, Ahnungen, Träume eine ganz andere psychische Realität:

„Traum-Dichtungen" - wie Jung sie genannt hat, - die die Basis der Beziehung zum „eigenen Verborgenen" bilden. Innere seelische Prozesse als Antwort auf erlebte äußere Situationen. Und so wollen diese Bilder auch weniger mit dem Werkzeug der „analysierenden Logik" betrachtet werden, sondern man sollte sich dem Wagnis der eigenen Intuition, der "Auslieferung an das eigene Unbewußte" überlassen.

 

 

7. Fragment

Fragmente sind Bruchstücke: „Zerbrochen weil zerbrechlich ?" - Fragment, fragil, Fraktur, Fraktion - in all diesen Wörtern steckt und wird signalisiert "das Aufgeteilte, das Geschwächte, das Gestückelte, das Zerrissene" - im Gegensatz zu dem anscheinend verlorenen „Ganzen",

dem „Heilen", dem „Einen".

So sind diese Fragment-Bilder im Sinne von Frau Wilken ausdeutbar als „Teile", Stationen aus dem Lebensprozess, Stationen aus ihrer Suche nach dem ICH, gemäß dem bis heute anerkannten Gebot der Antike, das einst am Eingang des Orakels von Delphi jeden Besucher aufforderte :

"Erkenne dich selbst]" - die selbstkritische Innenschau , der Blick in den Spiegel, der ja auch hier auf einem dieser Bilder dargestellt und thematisiert wird.

 

8. Die Bilder / exemplarisch

Wenden wir uns nun also direkt diesen Arbeiten zu: Die Hängung der Bilder ist von der Künstlerin nicht zufällig gewählt

Dort links an der Wand befindet sich eine Serie von 8 Arbeiten - ich habe sie für mich die „Blaue Reihe" getauft.

Diese 8 Bilder sind nun nicht als "story-board" einer fortlaufenden Geschichte anzusehen in dem Sinne etwa "Was passiert denn da ? "

sondern eher in dem Sinne, dass benachbarte Bilder auch einen inneren Zusammenhang aufweisen : „Sie haben miteinander zu tun".

Das erste mit der blauen, quasi abwehrend erhobenen Hand - in "Hand" steckt ja „Handlung" erscheint wie ein zugerufenes:

"Halt, Stopp, Achtung ! Sie betreten eine besondere Zone!"

Befindet sich die im 2. Bild dargestellte Unbekannte in einer solchen Zone ? Der besonderen Zone des Schlafes, dem Reich des Morpheus oder vielleicht sogar in der des Thanatos, dem Reich des ewigen Schlafes ?

Zeigt der - sichtbar am Bauch verletzte weibliche Torso anklagend seine verdeckte Wunde vor oder ist es ein Hinweis auf einen erfolgreich(!) überstandenen Angriff aus dem sich neue Stärke herleitet, die sich vielleicht im benachbarten EVA - Bild zeigt ?

Oder meine beiden Lieblingsbilder - hier rechts und links hinter mir: Sie beziehen sich - wie der Titel "La Loba" , also etwa „Die Wolfsfrau" nahe legt,

auf eine Anthologie gleichen Namens der mexikanischen Schriftstellerin, Psychologin und Jung-Anhängerin Clarissa Estees.

Auf der linken Seite die wilde, starke Urfrau . Sie hat in der Symbolsprache viele Bedeutungen und taucht in vielen Kulturen auf, sie inkarniert u.a.

-   die "Große Urmutter" , die alles Hervorbringende und Erhaltende

-   "Durga", aus dem Hinduismus stammend: die „Schreckliche Verschlingerin " , Erscheinungsform der Kali , aber auch Audruck ungebändigter   sexueller Kraft und damit Garantin für Wiedergeburt und Erneuerung.....oder

-   Hekate, die - aus dem alten Griechenland überlieferte -"Zauberin" und „Seherin" , die ,wie ihr um 180 Grad gedrehter Unterleib zeigt,

  in die Vergangenheit und in die Zukunft sehen kann.

Und folgt man Clarissa Estees, so stecken alle diese Archetypen /auch heute noch (!) - in der Frau. Doch dieses Urwissen, diese Urkraft wurden verschüttet und geschwächt durch den Jahrtausende währenden ziviliatorischen Unterdrückungsprozess. Dieses weibliche Urwissen muß sich neu befreien in Zorn, in Kreativität, im Wieder-Erkennen und Vertrauen auf den eigenen „6. Sinn" und weibliche Intuition.

Vielleicht so, wie hier auf der rechten Seite, wie sich diese modern anmutende, weibliche Lichtgestalt, ihrer Fesseln entledigt hat und

weibliche Kraft und Selbstsicherheit ausstrahlend, erhebt, aufsteht und bereit ist, dem Schicksal fordernd entgegenzutreten.

Beispiele - die diese neue, starke Frau verkörpern, die mir spontan dazu einfallen, wären z.B. die amerikanische Protestsängerin Joan Baez / US,

die marokkanische Schriftstellerin und UNO-Botschafterin Fatima Melissi / Marokko, oder die burmesische Freiheitskämpferin Aung San Suu Kyi / Burma.

 

Zum Abschluß noch ein kleiner Hinweis:

Im Flur ist ein Teil von Frau Wilkens Arbeit „Längst vergangene Tugenden" ausgestellt.

Aus diesem erstmals in den Räumen der Berliner "Konrad-Adenauer-Stiftung" gezeigten Zyklus, wurden hier 8 der großformatigen Portraits junger, orthodoxer Nonnen ausgewählt. Ihr im Nachbarraum gezeigter, etwa 35-minütiger Video-Film "Handlung und Andacht" zeigt - gegliedert nach den 4 Elementen (Feuer / Luft Wasser / Erde) - den schlichten Alltag dieser Novizinnen in einem einsamen Bergkloster in der rumänischen Heimat der Künstlerin.

 

        Ich wünsche dieser Ausstellung eine gute Aufnahme und gutes Gelingen ,

          und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit! Guten Abend!

 

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