REISEN AUF DEM GRUND DER HAUT


Nichts kann unverwandelt gerettet werden, nichts, das nicht das Tor seines Todes durchschritten haette.*

 

Die Erfahrung von Wandlung und Verwandlung ist aeltestes Menschheitswissen, und immer ist ihr die Vorstellung eingeschrieben, im einverstaendigen Widerstand gegen den Tod das Leben zu gewinnen. Die Paradoxie des ,einverstaendigen Widerstands* erkennt die Herrschaft des Todes in seiner natuerlichen, gesellschaftlichen und persoenlichen Dimension an, um aus der damit verbundenen Einsicht und Erkenntnis gegen ihn die Moeglichkeiten innerer und aeusserer Freiheiten zu erweitern.
Elisabeta Wilken beschwoert und beschreibt Stadien der Wandlung aus dem Gefuehl des Innehaltens in der bildlichen und poetischen Aufmerksamkeit fur die Horizonte eines sich veraendernden Selbst. Im Durchgang durch die aufgehobene Zeit der Selbstversunkenheit regeneriert sie die Distanz, in der sie die Ueberlieferung der melancholischen Ambivalenz von Erhabenheit und Schoenheit jeweils neu zur Anschauung und zur Sprache bringt.
Die fotografischen Momente ihrer Bilder erscheinen als Gegenwart erinnerten Lebens und markieren so das Widerstaendige seines Nachwirkens im Zeitstrom der Verwandlung. Sie zeigen sich und sind zu sehen als Erinnerungen an ein Beruehrtwordensein, das als sprechender Ausdruck seelischer Raeume den Sinn der Bildszenen erfuellen. Elisabeta Wilkens Collagen inszenieren Gesten des Beruehrens und von Beruehrungen als imaginare Schichten ebenso opaker und statischer wie transparenter und fliessender Vorstellungen.
Auf diese Weise entstehen fuer die Wahrnehmung durchlaessige Einheiten des Gesehenwerdens und Sichzeigens, die in ihrer so, augenblicksweise wieder aufgehobenen Distanz Wege oeffnen zu einem Wissen, das durch die Reisen auf dem Grund der Haut zur Erfahrung und zum Bewusstsein seiner selbst gekommen ist. Erst im Prozess ihrer Benennung, ihrer bildlichen Vorstellung werden Innen und AuBen der Haut als ineinander umschlagende Differenz von Nahe und Feme unterscheidbar, ueberdeutlich und unfassbar zugleich. Diese Spannung kennzeichnet Elisabeta Wilkens' Sprachbilder ebenso wie ihre Bildsprache; durch sie sind beide aufeinder bezogen als Moeglichkeiten des Wissenwollens und des Aushaltenkoennens aus einem Grund lebendiger Zuversicht.

Wolfgang Siano

* Th. W. Adorno, Negative Dialektik, Frankfurt/M. 1970, S. 382

Visuelle Lyrik


Grenzen ohne Grenzen

Die Zeit nach der Zeit
Wartezone 21
Nur mit Passwort
Hilflos
steht sie vor dem unbekannten Gefuehl
dass ihren vergessenen Koerper erfuellt

Ein biologisches Phaenomen

weder Mann noch Frau

Blick in die eigene Seele

Schonungslos
das Leben
von seinem Ende her
zu betrachten
.

Geheimnis

Spiel
zwischen Mann und Frau
eine aufregende Affaere
ein neues Lebensgefuehl
in inniger Verbundenheit

Turbulenzen
voller Leidenschaft
Mischung
aus
Liebe und Verrat
Vertrauen und Enttaeuschungen

Schweigen

Stille
mit bekanntem Hintergrund

Masken

Masken
viele
geschminkt
lasziv
provokant
Madonnaeffekt

Akt3
vom Verlangen getrieben
hinter der Kulisse
eine Falle
Masken
viele
Selbstinszenierungen
Bilder im Kopf
von Sehnsucht, Schmerz und Ekstase

Bin ich schoen?
Das Spiegelbild
zerspringt...

Allein
Tanz
Seiltanzerin
In der Nacht
Frau sein
Wachtraum
Am Strand

Lauschend
zurueckgekehrt
in die Wellen des Meeres
zwischen
Entstehen und Vergehen
fuer einen Augenblick

STILLE


angekettet
im Innern seiner Hoehle
starre
Ich
gebannt
auf die Hoehlenwand

Schattentanz
sich bewegender Figuren
in einer
gleichgueltig
vorbeiziehenden Welt

Ich
erkenne
die Erkennenden
und
drehe mich
langsam
zum
LICHT


Suche
ewige Suche
auf verschiedenen Wegen
nach erloesender Kraft

Frau sein
frei sein
exzentrisch
egozentrisch
Ziele verfolgen
das Leben in den Griff bekommen
weitermachen
weitermachen
ruhelos

ich muss los...

ich muss los lassen...

ich lasse los...


Langsam
wird die Erinnerung wach

Musik

Ich reise auf deiner Haut
Du beruehrst meinen Grund
wir erleben uns
im Schatten unseres Ichs


Am Seil
steigt sie auf
in eine neue Wirklichkeit

Kein Blick zurueck
keine Kompromisse mehr.

Atemlos
bricht sie ihr Schweigen

„Ich bin eine Uberlebenskunstlerin".

Einzelne
Bravorufe
von Namenlosen


auf einer drehbaren Buehne
in einem schwarzen Quadrat
Solo Performance
ein programmiertes Ich

Der Koerper
schafft sich neu

In inneren Raeumen
sich veraendernder Welten

Szenerie
aus
einem Bergmann-Film


Der Weg in der Nacht
fuehrt zu verlassenen Strassen
barfuss
an der Kreuzung
zwischen Traum und Wirklichkeit
STILLE

Selbstzenzur
singulaere Gedanken
ich erinnere mich
ich erinnere mich nicht...

Wie viele Verletzungen
braucht der Mensch
um bereit zu sein
einen anderen zu finden?

Die Nacht schweigt

Wandlung

Bildersturz
in den tiefsten Brunnen
der Erkenntnis

von Zeit zu Zeit
am Rande der Welt

Reise

Um ein neues Ich

Wanderung

Das grosse Tor
oeffnet sich
Reise der Seele
an die Ufer der Vergangenheit

Sie warf die Schluessel weg
und legte die Maske ab

Die Uhren sind stehen geblieben
Zeit der Leere
Zeit des Abwartens