„Internationales Forum Berlin"

 

Gekürzte Eröffnungsrede zur Vernissage „Gesicht der Zeit“,

Teil 4: „Keiner entkommt" am 12.8.2005 im von Dr. H.v.Puttkamer

 

 

 

Einleitung : IF und Berlin

 

„Gesicht der Zeit" ist der Titel dieses ungewöhnlichen und vom „Internationalen Forum" über mehrere Jahre angelegten - und im wahrsten Sinne des Wortes -

„interdisziplinären" Projektes, zu dessen vierter Vernissage wir uns heute hier getroffen haben. Es ist der interessante Ansatz die vier tragende Saulen unserer Gesellschaft „Kultur - Kunst- Politik und Wirtschaft" unter einem Dach zu versammeln und die daraus sich ergebenden Synergie-Effekte zu nutzen.

 

Mit diesem Projekt erhält die Stadt Berlin ein weiteres kulturelles Highlight in dem Ballett des internationalen Kunstbetriebes und Berlin bedarf solch mutiger Initiativen - gerade auf dem Gebiet von Kunst und Kultur!!!

 

W

issenschaft und Kunst - Versuch eines kategorialen Vergleichs „Gesicht der Zeit“ - welcher Topos wird damit eigentlich angesprochen?

Nun - allein der Sinngehalt des „Wortes“ ZEIT ist schillernd und weist viele Aspekte auf. Bekanntlich hat ZEIT für einen Naturwissenschaftler eine völlig andere Bedeutung als für einen Kultursoziologen oder Psychologen.

Ganz zu schweigen von unseren eigenen Alltags - Zeit - Erfahrungen: wie uns die ZEIT in unterschiedlichster Form in der täglichen Lebenswelt begegnet: linear oder zyklisch, - anstatt stetig strömender Gleichförmigkeit: gedehnt oder gestaucht, vergangenheits- oder zukunftsbezogen, objektiv oder subjektiv und diese seltsamen Gegensätzlichkeiten ließen sich noch eine Weile fortsetzen.

 

Lassen Sie uns noch einen Moment bei dem Thema des „Phänomen Zeit“ in Bezug auf die beiden Kategorien der Kunst und der Wissenschaft bleiben:

In Annäherung an den Berliner Philosophen Wilhelm Dilthey konnte gelten: „Naturwissenschaft erklärt, Geisteswissenschaften versteht und Kunst interpretiert bzw. veranschaulicht die Natur“

Allgemein gilt für die Wissenschaft speziell die Naturwissenschaft: Sie strebt nach dem „Wahren“ und steht für das sachlich Neutrale, Berechenbare, das Überprüfbare und in seiner technischen Anwendung später das Nützliche.

Mit der Kunst dagegen wird das „Schone“ verbunden, das Phantasievolle, aber auch das Beunruhigende und engagiert Anklagende.

 

• oder man bringt - in Anlehnung an das Motto der 9.documenta - : das Spannungsverhältnis auf die elegante Kurzformel

 

• Wissenschaft gibt Antworten, Kunst wirft Fragen auf!

 

Wissenschaft beruht auf einem Netz allgemein anerkannter und nachprüfbarer Regeln und Gesetze. Fortschreitend werden kumulativ neue Erkenntnisse gewonnen, die wiederum zu neuen Regeln führen, d.h. Merkmal der Wissenschaften ist das logisch-diskursive Vorgehen und als ihr Credo gilt: Rationalität und Objektivität.

Kunst dagegen heißt Diskussion und bei ihr stehen Intuition und Subjektivität

an erster Stelle. Kunst operiert primär mit dem Begriff der Einmaligkeit, im Gegensatz zur Wissenschaft, die gerade die allgemeingültige Aussage anstrebt. oder wie es kürzlich der französische Wissenschaftler Jean-Marc Levy-Leblond in einem Interview so treffend ausdrückte (Zitat):

„Der Künstler benutzt die erste Person Singular,

der Wissenschaftler die erste Person Plural.

Beide Kategorien aber eint ihr gemeinsamer Urgrund. Der Motor der beide treibt ist ihre unersättliche Neu-Gier, das nie rastende Vorstoßen in immer neue unbekannte Gebiete und die dabei unabdingbare Voraussetzung der Kreativität.

Ihre gemeinsame Aufgabe ist und bleibt es, die Grenzen des Menschen, des Denkbaren und manchmal auch des Zumutbaren - zu überprüfen, und gegebenenfalls auch aufzuheben.

 

Das Zeitphänomen aus der Sicht von Wissenschaft und Kunst

 

Wie ist nun das Verhältnis dieser beiden Kategorien zu dem Phänomen ZEIT?

Aus Sicht der Kunst das Thema ZEIT erst einmal kein zu erklärendes, kompliziertes Problem, verankert in und kohärent mit einem kompliziertem Regelwerk, sondern etwas ganz Selbstverständliches. Etwas, das mit den Sinnen im eigenen Sein „erfahren" und reflektiert wird und dann im „Kunstwerk" interpretiert und subjektiv dargestellt wird.

Zeit findet man in den Darstellungen der Kunst daher nicht nur als immerwährende gleichmäßig strömende Linearität, sondern auch ausgestattet mit den Eigenheiten einer Ameisenstrasse: mit Stockungen und Beschleunigungen.

Zeit als erstarrtes „FREEZE", einer im Augenblick gefangener Ewigkeit als Zeitscheibe oder im Zeitraffer vorweggenommener Alterungsprozesse.

Die auf LESSING zurückgehende - und heute nicht mehr ganz unumstrittene Unterteilung - in Raum-Kunst und Zeit-Kunst, also Malerei, Skulptur, Architektur auf der einen Seite und Wort- und Musik-gebundene Kunst wie Theater, Film und Literatur auf der anderen - erlaubt einen weiteren interessanten Einblick in das Verhältnis dieser beiden Kunstformen zum Zeitphänomen. Dazu muß man die Rezeptionsbedingungen des Publikums miteinbeziehen, da diese völlig unterschiedlich sind.

ZEIT-Kunstwerke haben bei ihrer Präsentation einen festen, zeitlichen Ablauf mit einem Anfang, einer Entwicklung und einem Schluss! Die Rezeptionszeit ist für das Publikum mit der Aufführung einheitlich vorgegeben. Die Rezeption erfolgt sequentiell / sukkzessiv / zeitlich geordnet.

Die Raum-Kunst - dagegen - kulturhistorisch gesehen vermutlich die altere von beiden, und die ja immer rein materieller Natur ist -hat eine völlig andere Rezeptions-Charakteristik: Raum-Kunstwerke stehen simultan und als Ganzes vor unseren Augen!

 

Ihre Betrachtung kennt keine zeitliche Begrenzung. Aber über die Betrachtungsdauer kommt hier die Zeit doch wieder ins Spiel - also auch die RAUM-Kunst steht in der Zeit".

Nebenbei bemerkt ist auch die Tatsache interessant, daß Zeitkunst hauptsachlich „Ohren" - zentriert ist, Raumkunst dagegen eher „Augen“ -betont. So könnte man zugespitzt fast sagen: Raumkunst „ist" , Zeitkunst „wird" . Soweit die kurzen einführenden Bemerkungen zu dem Verhältnis der Künste zur Zeit.

Zum Ausstellungstitel: ,,Gesicht der Zeit: Keiner entkommt"

Hierbei geht es nicht nur um das Phänomen Zeit an sich, sondern darum wie

uns die Inhalte der Zeit erscheinen! Es wird eine Art Bestandsaufnahme angestrebt – der die „in der Zeit" - oder genauer gesagt, in unserer Zeit - feststellbaren Kulturströmungen, zusammenfasst und darstellt. Kurz das, was man so gerne unter dem Begriff „Zeitgeist“ subsummiert. Dabei verspricht dieses Aufspüren und Dokumentieren besonders fruchtbar zu werden, unter spezieller Berücksichtigung jener Sichtweisen, wie gerade Künstler – diese Seismographen akuter, gesellschaftlicher Befindlichkeiten - die bestimmenden Kultur-Phänomene ihrer Gegenwart empfinden, reflektieren und künstlerisch umsetzen.

 

 

Ausstellende Künstler

 

Genau in diesem Spannungsfeld - und damit komme ich abschließend zu einigen Anmerkungen zu den hier ausstellenden Künstlern - sind die Arbeiten von ELISABETA WILKEN angesiedelt.

Dazu mochte ich einleitend eine Sentence aus C.G.JUNG's Buch „Psychologie und Religion" zitieren.....(Zitat):

 

„Das geistige Abenteuer unserer Zeit ist die Auslieferung des menschlichen Bewußtseins an das Unbestimmte und Unbestimmbare!"

 

 

JUNG weist damit auf eine - verborgene, aber äußerst bedeutsame - Grundlage des

menschlichen Zusammenlebens hin: die Fähigkeit der Seele mittels der Archetypen,

gesellschafts-gemeinschaftliche Inhalte und Bilder zu erschaffen.

Dabei sind diese inneren Bilder der Seele - die in uns allen im Unterbewußtsein verborgenen sind - im Urgrund die gleichen.

Diese „Traum-Dichtungen",- wie er sie nennt - bilden je nach Starke der Ausprägung, die Beziehungsbasis zwischen Einzelnen oder homogenen Gruppen und der Allgemeinheit.

Die einzelnen Individuen einer Gesellschaft sind damit durch das vielzitierte

kollektive Unbewußte", d.h. diesem allen gemeinsamen Vorrat von archetypischen

Sachverhalten in ihrem Unterbewußtsein viel starker verbunden, als es sich der reinen logisch-analytischen Betrachtung offenbart.

In diesem Sinne bedeutet es für den Künstler immer ein schwieriges Wagnis,

sich bei der Schaffung eines Kunstwerken einerseits den „Inhalten des Unbewußten" zu überlassen(l), zugleich aber andererseits sich gestaltend dennoch zu behaupten.

Denn die gemachten Erfahrungen und Einprägungen des eigenen numinösen Unbewußten

sind neben denen von kollektiver Natur, Teil des Persönlichsten und Intimsten !

Und genau mit Hilfe dieses dualen Charakters ergibt sich für den Betrachter eine Möglichkeit des Zuganges zu dem Film und zu den Bildern von Elisabeta Wilken , die dort im Nachbarraum ausgestellt sind.

In ihren Bildern sind die dargestellten Frauen zu rätselhaften Zwischenwesen geworden und sind damit erst einmal nichts anderes als Ausdruck ihrer selbst. Als Folge der in den Bildern angestrebten Re-Mythologisierung erreichen den Betrachter verschlüsselte Botschaften aus der „Welt des Dunklen" mit Darstellungen von Schmerz und Angst, von Einsamkeit, vom Ausgeliefertsein - Situationen, denen keiner in seinem Leben entkommt! Die Gesichter auf

diesen Bildern wirken nach innen gekehrt; sie scheinen in ihrer eigenen Realität

„eingefroren“ zu sein und von der Außenwelt keine Notiz nehmen zu wollen, und überlassen so den Betrachter seinen eigenen Ur-Bildern und Intuitionen, die dieser neu für sich deuten und „ nach “-empfinden muss.

Im AnschluB an diese Einführung wird in dem Nebenraum ihr Video-Film „ Entfesselung “ in einer Uraufführung gezeigt werden. Ihr in diesem Werk angewandtes künstlerisches Prinzip ist das Einnehmen und Herausheben unterschiedlicher Betrachterstandpunkte. Sie zerlegt Bildzusammenhange, fokussiert einzelne Elemente, legt Bildachsen frei und versucht dabei, die Bedingungen des Zustandekommens des Bildmaterials mitaufzuzeigen. Das Ausgangsmaterial wurde anläßlich einer Berliner Demonstration einer gesellschaftlichen Randgruppe gewonnen. Wiederholt rekombiniert sie das gewonnene Material und schafft so unterschiedliche Überlagerungen. Ihr Film ist unter den aus Charles Baudeleaire's Les Fleur du mal " entlehnten Leitgedanken gestellt:

 

„ Die schönste List des Teufels ist, Euch zu überreden ,

dass man ihn nicht zu fürchten habe, weil es ihn gar nicht gibt!"

 

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