Janos Frecot

Berlinische Galerie

Rede zur Eröffnung der Photoausstellung "Längst vergangene Tugenden“ Von Elisabeta Wilken, Konrad-Adenauer-Stiftung, Berlin, 25.1.1997

 

 

Meine Damen und Herren,

 

wenn wir von Photographie sprechen, Photographie sehen, Photographie beurteilen sollen, schiebt sich nur allzuoft ein Moment des Gewohnten vor unsere kritische Sprache: wir alle kennen Photographien, können photographieren, und natürlich verstehen wir dann auch was davon. Und schon ist aus der Photographie etwas ganz Gewöhnliches, oder, um es noch drastischer zu sagen, etwas Ordinäres geworden. Und doch ist diese Beurteilung etwa so schief, ungerecht, ja unzulässig wie die Meinung so vieler Eltern, sie verstünden etwas von Pädagogik! Wie kommt es zu dieser weitverbreiteten Unkenntnis gegenüber dem Wesen der Photographie? Nun, da kommt vieles zusammen: allem anderen voran sicherlich der massenhafte, wenig selbstkritische Gebrauch der Kameras - das, was die Photoindustrie schafft, sind Bildproduzenten und Bildkonsumenten, aber keine Bildschöpfer. Dann: die Erfindung der Photographie geschah im Zeitalter der beginnenden Verstädterung und Hochindustrialisierung, und sie wurde von den anonymer werdenden Gesellschaften der Großstädte auch sofort als Medium der Selbstdarstellung erkannt und vereinnahmt. Und hinzukommt, vor allem unter Museumsleuten und Kunstwissenschaftlern verbreitet, und immer noch ganz besonders hier in Deutschland, das Mißverständnis vom fehlenden Cha­rakter des Originals. Nun darf ich Sie einmal fragen: was ist eigentlich das "Original" in der Musik? Die Partitur vielleicht? Davon hätten wohl die wenigsten was, denn auch die glühendsten Musikfreunde können im Allgemeinen nicht Noten lesen! Da ist es wohl dann eher die Aufführung, in der sich das "Kunstwerk" einer Klaviersonate oder einer zeitge­nössischen Improvisation für Percussionsinstrumente manifestiert.

 

Von den Anfängen der Photographie an war alles da, was Photographie auch heute bedeu­tet: Dokument und Kunstwerk, Amüsement und ernsthafte Arbeit an der technischen wie stilistischen Entwicklung des Mediums. Als Alexander v. Humboldt Anfang der 1840er Jahre die Photographie kennenlernte, bescheinigte der große Naturforscher und gelehrte Reisende dem neuen Bildmedium eine Abbildungsqualität "von unnachahmlicher Treue". Diese besticht uns in alten Photographien immer wieder durch die Präsenz der vielleicht ganz unbedeutenden Einzelheiten, die aber im Zusammenhang des Ganzen im Idealfall ein Zeitbild - eine Sekunde aus dem Kontinuum der Ewigkeit- ergeben.

An alte Photographien, besonders alte Reisebilder mußte ich denken, als mir Elisabeta Wilken zum erstenmal ihre Photographien aus dem rumänischen Nonnenkloster von Cotesti zeigte. Ich wußte aus ihren Erzählungen, daß sie seit Jahren immer wieder zu Gast bei den Nonnen war. Die hieraus entstandene Nähe und Vertrautheit zeichnet die Bilder aus, und als ich dann den Videofllm sah, der den Lebensraum dieser Frauen zeigt, ordnete sich auch die altertümliche Erscheinungsweise der Photographien, die Sie hier sehen, als keineswegs nostalgisch-kunstgewerblich er Kniff, sondern als selbstverständliche Formgebung einer Welt zu, in der Stille und Gesammeltsein Voraussetzung eines sinnvollen Daseins bedeutet.

Mir scheint, das Ereignis dieses Abends ist die Premiere von Elisabetas Film. Ich sagte vorhin, unser Wissen über Photographie ist gehandicapt von ihrer allgemeinen, unüberseh­baren und zumeist überflüssigen Erscheinung. Das gilt mindestens ebenso hinsichtlich des üblich dümmlichen Umgangs mit der Videokamera. Und jenseits des privaten Raums do­miniert hier eine professionelle Vulgarität, einschläfernder Zeitvertreib und ein die Sensi­bilität abtötender gefälschter Realismus. Wenn ich Video höre, bekomme ich eine Gänse­haut, sagte ich zu Elisabeta. Sie hat mich eines besseren belehrt! Ihr ist ein Film gelungen, der durch seine "musikalischen" Tugenden ebenso wie seine bildnerischen fesselt: sie läßt nämlich Zeit zu! Gesten können sich entfalten, Bewegungen nehmen ihren Lauf, schwingen aus, bis zum Stillstand, und auch dieser Stillstand wird uns noch gezeigt. Dazu gehört nicht nur innere Ruhe, sondern dramaturgischer Heldenmut! Blicke sind nicht fahrig, eitel, obenhin, sie sind vielmehr direkt, manchmal schüchtern, doch immer offen. Die vier Ele­mente, so war wohl einmal der Arbeitstitel für diesen Film, Wasser, Erde, Luft und Feuer: und über dem als verbindender Bogen die Frömmigkeit, der Dienst für die größte ange­nommene Idee: Gott.

"Das Wehen der Luft, das Rieseln des Wassers, das Wachsen der Getreide, das Wogen des Meeres, das Grünen der Erde, das Glänzen des Himmels, das Schimmern der Gestirne" - so Adalbert Stifter in der Vorrede zu seinen "Bunten Steinen", "halte ich für groß" - - dies könnte ein Vorspruch auch zu diesem Film sein, der uns lehren könnte, daß vielleicht die wichtigste Tugend, die unser Verhältnis zu Gott, zur Natur und zu den Menschen prägen sollte, den Namen hat: Bescheidenheit.

 

 

Dr.Hanna-Renate Laurien

Präsidentin des Berliner Abgeordnetenhauses a.D.

 

Ausstellung KAS "Laengst vergangene Tugenden"

Ansprache und Laudatio anlaesslich der Austellungseraeffnung von Elisabeta Wilken,

Berlin, 25.1.1997

 

Anrede,

 

Ich bin sicher: der kuenstlerische Sachverstand wird von Herrn Frecot eingebracht.Ich wage einmal andere Zugaenge.

Zuerst:Vergangene Tugenden. Von welchen Tugenden sprechen wir? Von Kardinaltugenden,von Sekundaertugenden? Sekundaertugenden wie Pünktlichkeit, Sauberkeit. Fleiß haben nie Sinn in sich. Sie werden im KZ persifliert,da ist ihre Negation verzweifelter Widerstand. In freiheitlichen Gesellschaften würde der Verzicht auf sie, gar unter Berufung auf die Freiheit, zu deren Negation, zur Rücksichtslosigkeit führen. Bei Sekundärtugenden müssen wir stets nach dem Bezugsrahmen, nach der Veränderung der gesellschaftlichen Wirklichkeit fragen. Diese Ausstellung stellt solche Fragen. Wie sich in diesen Nonnen Bescheidenheit oder Gehorsam ausdrücken mögen, kann heute nicht in dieser gleichen Form bekundet werden. Doch geht mit der veränderten Form nicht der Inhalt verloren, ja, erst die gewandelte Form kann den Inhalt bewahren. Das wird ebenso deutlich bei den Kardinaltugenden: Klugheit. Gerechtigkeit, Tapferkeit, Maß. Sie gelten, doch verändern sie ihre Konkretisierung. Wenn Tapferkeit einmal die Tugend der Märtyrer war, nach Josef Pieper die Tugend der Unterlegenen, die so setze ich fort, in einer Demokratie, auch dann, wenn sie keine Mehrheit gewonnen haben, nicht aufgeben müssen, so ist ihre heutige Form die Zivilcourage.

Wenn wir zunehmend in der öffentlichen Diskussion auf die Frage stoßen, was denn eine Gesellschaft zusammenhält, so wird deutlich: die Suche nach Sinn, die Sehnsucht nach Erfüllung bewegt die Menschen heute wie je, aber sie wollen die Antwort im Hier, im Heute, sozusagen in einer innerweltlichen Transzendenz. Sie haben, um es bildlich zu sagen, den Himmel verloren.

Da setzt nun die großartige Botschaft dieser Ausstellung ein. Ich habe für meine Anmerkungen mehr als eine Anregung durch die Lektüre von Pavel Florenskij bekommen. Florenskij, dieser Mathematiker und Naturwissenschaftler, der dann Professor für Philosophiegeschichte und orthodoxer Priester wurde und 1937 in der Sowjetunion als Staatsfeind erschossen wurde, hat in seinem Buch "Die Ikonostase" die Ikone als den Grenzort dargestesllt, in dem Unsichtbares sichtbar wird, er hat über die Begegnung der sichtbaren Welt mit dem Unsichtbaren, dessen Wirklichkeit für ihn die entscheidende ist, vielfältig, manchmal auch sehr antimodern nachgedacht, und das hat mich zu meinen Bemerkungen angeregt. Zuerst: ein Photo. Es hält den Augenblick fest, während etwa ein Portrait aus vielen Augenblicken ein Essential, eine Grundaussage zu gewinnen sucht. Ein Photo kann in seltenen Augenblicken auch das Exemplarische eines Augenblicks, eines Lebens aufnehmen. Wie weit das gelingt, hängt auch vom Objekt ab. Und da bin ich bei diesen Nonnen. Sie erscheinen keineswegs als Objekt, viel mehr durchaus als wachsendes Subjekt. Ich habe mir zur Vorbereitung auf dies Grußwort nur die Gruppenbilder der Nonnen mitgeben lassen. Ich habe sie betrachtet. Mag die Kopfbedeckung zwei Formen haben, diese Gesichter sind so viele wie Frauen auf diesen Photos sind. Ich mußte sprachlich aufpassen. Ich wollte sagen: wie PERSONEN auf diesen Bildern sind. Das habe ich gestrichen, denn Ihr erster Eindruck wird, so vermute ich, nicht der von selbständigen, emanzipierten Frauen, von Personen sein. Doch schauen wir näher zu, schauen wir auf die Gesichter. Mich hat das Betrachten dieser Gesichter einiges gelehrt -und noch einmal Dank an Florensky. Dies sind nicht bloß Gesichter, jede hat vielmehr ein Antlitz. Das Gesicht ist sozusagen der "naturale Urstoff". Geistige Wirklichkeit wird nur im Antlitz sichtbar.

Die Gesichter dieser Nonnen sind Antlitze. Das hat nichts, aber auch gar nichts, mit schön und häßlich zu tun. Das Gesicht, sozusagen die naturale Masse, wird durch innere Umgestaltung zum Antlitz. Das ist personale Existenz.

Ich entdecke auf einem Gesicht eine tief innerliche Freude, bei der anderen einen Hauch von Misstrauen, bei dieser Skepsis, bei jener Distanz, dort Begeisterung, auch Naivität, aber über ihnen liegt, pardon, ein Schleier der Gemeinsamkeit, oder sage ich besserrein gemeinsames Dach?. Ich spüre ein Urvertrauen. Und nun noch ein anderer Gedanke: Erschrecken Sie getrost, ich erschrak auch, als mir dieser Gedanke kam. In einem Bild will ein Künstler stets sich und eine unumgängliche Wahrheit ausdrücken, wobei die Akzente zwischen diesen Polen schwanken. In der Ikonenmalerei, und die ist orthodoxen Nonnen nah, geht es nun eben nicht darum, daß der Künstler sein Eigenes bekunden will, er will - ich zitiere Florenski- "die künstlerisch verkörperte Wahrheit der Dinge" zur Sprache, zur Anschauung bringen. Prüfstein ist die Wahrhaftigkeit des Dargestellten (S.88).Da wird jede Darstellungsform gefragt, ob sie denn den Dargestellten oder die Dargestellte wirklich wesenhaft vermittelt. Es gibt z.B. lange Exkurse, ob diese oder jene Form die Mutter Gottes - und ich sage verkürzend - "richtig" darstellt.

Es geht um die Wahrhaftigkeit der Darstellung.

In der Photographie geht es um die Wahrhaftigkeit im gelebten Augenblick. Sie zur Anschauung zu bringen ist Höhepunkt der Photographie. Diese Wahrhaftigkeit des gelebten Augenblicks begegnet mir in diesen Photographien. Wenn der Augenblick der Aufnahme nicht nur Augenblickliches, sondern Exemplarisches. Grundsätzliches zur Sprache bringt, wenn in der Momentaufnahme Grundlage, gar Ziel eines Lebens ahnbar werden, dürfen wir dies als Geschenk annehmen. So ist es für mich hier angesichts dieser Nonnen. Sie lassen mich ahnen - durchaus Unterdrückungserfahrung, die auch aus einigen Gesichtern spricht, nicht ausschließend - was die Hingabe an ein Absolutes, für uns an den absolut liebenden Gott, bedeuten kann. Daß mir nicht wenige Gesichter auch Rätsel aufgeben, sei nicht verschwiegen. Da sehe ich, alte Lehrerin, in diesem Auge doch verhüllte Bosheit und in jenem kaum verhüllte Verzweif1ung. Ich habe diese Einsicht methodisch sehr bewußt an den Schluß gestellt, obwohl sie systematisch sehr viel früher dran gewesen wäre. Warum? Um Sie auffordern zu dürfen, die Gesichter der Menschen zu lesen, zu fragen, was sie bewegt, von ihnen zu hören, was ihnen kostbar ist, wovor sie sich fürchten, was sie erhoffen. Auch wenn das Photo eine exemplarische Bedeutung haben kann, wenn es im Augenblick das über den Augenblick Hinausgreifende darstellen kann, es bleibt die Fixierung einesnicht wiederholbaren Augenblicks. Unsere geistige und geistliche Existenz ist die Summe all unserer Augenblicke, und so kann diese Ausstellung uns auch die Spannung unseres Lebens zu unserer Endlichkeit bewußt machen. Das Photo des Augenblicks verweist auf die Endlichkeit unseres Lebens und damit auf die Frage wie wir zu unserer Ewigkeit und zu unserer Gegenwart stehen. Diese Nonnen haben ihr endliches Leben sichtbar unter den Maßstab der Wirklichkeit Gottes gestellt. Ich erinnere an den verlorenen Himmel vieler Menschen heute. Vergangene Tugenden? Versunkene Wirklichkeiten. An sie durch diese Ausstellung erinnert zu werden, zu ihnen herausgefordert zu werden, ist ein Geschenk.